Weitere Geschlechter im Arbeitsrecht

Es gibt bekanntlich nicht nur Frauen und Männer. Doch welche Auswirkungen hat das am Arbeitsplatz? Und was kann der Betriebsrat tun? Welche gesetzlichen Vorgaben gibt es?

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte im Oktober 2017 entschieden, dass ein drittes Geschlecht in das Personenstandsgesetz aufgenommen werden muss. Darunter fallen intersexuelle Menschen. Das sind Personen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen können. Hintergrund ist unter anderem gewesen, dass ungefähr 150 intergeschlechtliche Babys jährlich in Deutschland auf die Welt kommen. Deshalb ist seit Januar 2019 das Personenregister dahingehend geändert, dass diese Personen als „divers“ (d) geführt werden.

Diese gesetzliche Neuregelung betrifft bislang nur das Personenstandsgesetz beziehungsweise das Geburtenregister.

Problem Datenschutz
Beim Beschäftigtendatenschutz gibt es vor allem die Unklarheit, ob Arbeitgeber aktiv auf ihre Mitarbeiter und Bewerber zugehen und das Geschlecht erfragen sollten. Schließlich beinhaltet Art. 5 Abs. 1 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), dass personenbezogene Daten sachlich richtig und auf dem neuesten Stand sein müssen. Arbeitgeber sind verpflichtet, alle angemessenen Maßnahmen zu unternehmen, um das sicherzustellen. Dem können zumindest mittelbar die Regelungen des AGG entgegenstehen. Bis dato ist die Frage nicht abschließend beantwortet und wird kontrovers diskutiert.

Änderung der Daten auf Antrag eines Mitarbeiters
Im Hinblick auf den Datenschutz wird das Betroffenenrecht in Art. 16 DSGVO am ehesten eine tragende Rolle spielen. Es beinhaltet ein Berichtigungsrecht. Jeder Mitarbeiter hat die Möglichkeit einen falschen Geschlechtseintrag in den Personalunterlagen jederzeit ohne großen Aufwand ändern zu lassen.

Vom AGG wird das dritte Geschlecht geschützt
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt neben der Religion, der Weltanschauung, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Behinderung, dem Alter und der sexuellen Identität auch das Geschlecht. Benachteiligt ein Arbeitgeber also einen Arbeitnehmer wegen seines Geschlechts, verstößt er gegen seine Pflichten, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben.

Arbeitnehmern gibt das – abhängig von der Schwere des Verstoßes – unter Umständen die Möglichkeit sich zu beschweren oder/und ihre Leistung zu verweigern. Eventuell können Sie Ihren Arbeitgeber wegen einer entsprechenden Benachteiligung auch erfolgreich auf Schadenersatz verklagen. Das ist aber im jeweiligen Einzelfall zu prüfen.

Auswirkungen im Hinblick auf das weitere Arbeitsrecht
Die Entscheidung des Betriebsverfassungsgerichts kann jedoch auch praktische Auswirkungen haben:

  • Drittes Geschlecht in Stellenausschreibungen berücksichtigen
    Spricht Ihr Arbeitgeber in einer Stellenanzeige nur Männer und Frauen an, riskiert er eine Klage. Schließlich ist der Grundsatz der geschlechtsneutralen Stellenausschreibung durch das AGG garantiert, nach den §§ 1, 7 in Verbindung mit § 11 AGG. Nun hat er auch das dritte Geschlecht zu berücksichtigen.

    Am einfachsten kann Ihr Arbeitgeber das durchsetzen, indem er der Stellenausschreibung entsprechende Zusätze beifügt. Bisher gibt es insoweit keinen einheitlichen Standard. In der Praxis sind Zusätze wie (m/w/d) oder (m/w/x) üblich.
  • Drittes Geschlecht auch bei Online-Bewerbungen berücksichtigen
    Das dritte Geschlecht ist auch bei Online-Bewerbungen zu berücksichtigen. Bei vielen Online-Bewerbungsformularen handelt es sich um standardisierte Formulare oder Eingabemasken. In solchen Formularen wird noch immer häufig nur zwischen männlich und weiblich oder Herr oder Frau unterschieden. Das sollte unbedingt angepasst werden.
  • Anrede im Unternehmen mit Bedacht formulieren
    Ob im Bewerbungsverfahren oder schlicht im Unternehmensalltag: Ein weiterer Punkt, den Arbeitgeber sehr überlegt angehen sollten, ist die Ansprache von Intersexuellen. Im persönlichen Gespräch wird man durch eine Anrede mit „Sie“ viele Probleme erst gar nicht haben. Aber spätestens, wenn Ihr Arbeitgeber eine größere Ansprache hält oder ein Schreiben verschicken möchte, stellt sich die Frage, wie er die bisher übliche Ansprache mit „sehr geehrte Frau, sehr geehrter Herr… „ bzw. „sehr geehrte Damen und Herren“ auf das dritte Geschlecht ausweiten kann.

    Am einfachsten wird es vermutlich, wenn Ihr Arbeitgeber gegenüber allen Mitarbeitern klarstellt, dass er ab sofort nur noch eine Anredeform benutzt, mit der er alle Geschlechter anspricht. In Frage kommen hier z.B. „Liebe Mitarbeiter“ oder „Liebe Arbeitende“. Für die Bewerber sollte es „Liebe Bewerbende“ heißen.

    Wer das nun für übertrieben hält, dem sei gesagt, dass es sicherlich irgendwann die ersten Klagen auf diesem Gebiet geben wird. Und der Ausgang solcher Rechtsstreitigkeiten wird vermutlich so sein, dass der Arbeitgeber verlieren wird.
  • Ansprache durch den Betriebsrat
    Gleiches gilt übrigens entsprechend auch für Sie als Betriebsrat, zum Beispiel bei einer Ansprache auf einer Betriebsversammlung.

Passt der Gesetzgeber Gesetze an?
Wie lange sich die Umsetzung der notwendigen Anpassungen insgesamt hinziehen wird, ist noch nicht absehbar. Schließlich hätte der Gesetzgeber zunächst diverse Einzelgesetze zu ändern und anzupassen. Bereits jetzt ist es aber sinnvoll, dass Arbeitgeber in Bewerbungsverfahren durchgängig geschlechtsneutrale Formulierungen verwenden. So vermeiden sie sich dem Vorwurf auszusetzen, dass sie ein Geschlecht diskriminieren und entgehen Schadenersatzforderungen und Entschädigungszahlungen nach § 15 AGG. Ein abgelehnter Bewerber, der sich von einer Stellenausschreibung diskriminiert fühlt, hat unter Umständen die Chance eine Entschädigung in Höhe von bis zu 3 Monatsgehältern zu erreichen.

Das hier zu den Bewerbungen Gesagte gilt übrigens gleichermaßen für die Anrede der Arbeitnehmer. Beides ist relativ einfach umzusetzen und sorgt im Zweifel dafür, dass der Arbeitgeber nach der Umsetzung als attraktiver und moderner Arbeitgeber wahrgenommen wird.

Drittes Geschlecht bei Toiletten, Umkleiden und Waschräumen ausdrücklich mit aufnehmen
§6 Abs. 2 Satz 4 Arbeitsstättenverordnung regelt, dass in den Betrieben sanitäre Räume für „Männer und Frauen“ getrennt eingerichtet werden müssen. Zumindest muss die getrennte Nutzung der Räume möglich sein. Das stellt Arbeitgeber, aber letztlich auch viele andere wie den Betriebsrat vor die Frage: Müsste nicht zukünftig auch eine Toilette für das dritte Geschlecht eingerichtet werden? Alternativ wäre über Unisex-Toiletten und -Umkleiden nachzudenken.

Die Praxis geht über das Problem hinweg
In der Praxis ist diese Angelegenheit bisher kaum gelöst. Je nach Größe des Betriebs gibt es in den Umkleiden Einzelkabinen und abgeschlossene Duschen. Fortschrittliche Arbeitgeber haben zudem gegenüber der Belegschaft klargestellt, dass intersexuelle Personen die Wahl haben, sich für eine der beiden Räumlichkeiten zu entscheiden. Aber es gibt auch Arbeitgeber, die sich diesem Problem noch gar nicht gewidmet haben.

Wahlfreiheit klarstellen
Da es bislang an einer entsprechenden Änderung der ArbStättV fehlt, dürfte es derzeit völlig ausreichend sein, die Bezeichnung der Toiletten zu ergänzen. Und zwar dahingehend: „männlich/divers“ bzw. „weiblich/divers“. Es ist sicherlich sinnvoll, wenn der Arbeitgeber bei nächster Gelegenheit klarstellt, dass intersexuelle Beschäftigte die Wahl haben. Sie können entscheiden, welche Toilette, Umkleide oder Dusche sie gern nutzen möchten.

Geschlechtsneutrale Kleiderordnung
In vielen Unternehmen gibt es Vorgaben zur Kleidung. Das hat die unterschiedlichsten Gründe. Je nach Branche und dem mit der jeweiligen Kleiderordnung verbundenen Ziel gibt es üblicherweise auch nach Geschlechtern getrennte spezifische Kleidervorgaben. Existiert in Ihrem Unternehmen nicht bereits jetzt eine geschlechtsneutrale Kleiderordnung, werden Anpassungen notwendig. Alternativ kann Ihr Arbeitgeber allerdings – wie in den anderen bereits angesprochenen Angelegenheiten – zunächst gegenüber der Belegschaft klarstellen, dass intersexuelle Menschen sich eine der beiden Uniformen aussuchen können.

Langfristig sollten Sie als Betriebsrat jedoch gemeinsam mit Ihrem Arbeitgeber eine geschlechtsneutrale Kleiderordnung einführen. Dabei sollten Sie darauf achten, dass diese nicht zu viele Einzelheiten enthält. Das kann dazu führen, dass bestimmte Vorgaben von der Allgemeinheit eher als Kleidungsstücke für Männer oder Frauen zugeordnet werden.

Anpassungen von Gesetzen?
Im Arbeitsrecht gibt es eine Vielzahl an Gesetzen, die ausdrücklich zwischen Männern und Frauen unterscheiden. Das gilt beispielsweise für
- das Entgelttransparenzgesetz,
- die Arbeitsstättenverordnung,
- das Mindestlohngesetz und
- das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).

Denken Sie nur an § 80 Abs. 2 BetrVG. Aber auch §15 Abs. 2 BetrVG unterscheidet mittelbar auch zwischen den Geschlechtern. Danach muss das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, entsprechend seines zahlenmäßigen Verhältnisses im Betrieb vertreten sein. Die Berechnung erfolgt nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren. Grundsätzlich sollten sämtliche Gesetze, die intersexuelle Personen nicht berücksichtigen und noch nicht von dem dreigeschlechtlichen System ausgehen, geändert werden. Dazu gehört eben auch das BetrVG. Und zwar in der Form, dass bei Betriebsratswahlen das Verhältnis aller drei Geschlechter berücksichtigt wird. Unter Umständen reicht in Bezug auf § 15 Abs. 2 BetrVG auch eine Klarstellung, dass es in einem Betrieb auch mehrere Minderheitengeschlechter geben kann.

Wer nun meint, das sei völlig übertrieben, mag Recht haben. Aber genauso richtig ist es, dass die Gesetze und das Betriebsverfassungsgericht zu einem umfassenden Minderheitenschutz aufrufen.

Fazit
Spätestens, wenn die erste Klage anhängig sein wird, muss der Gesetzgeber handeln. Und die wird kommen. Sie haben es als Betriebsrat in der Hand, auf betrieblicher Ebene Ungleichbehandlungen in Bezug auf das dritte Geschlecht schon einmal vorzubeugen.